Wo ist Tante Emma?

Tante Emma war sprichwörtlich und sie kannte ihre Kunden alle beim Namen. Kinder wurden hingeschickt, mit oder ohne Geld. Im Zweifel zahlte Mutter beim nächsten Einkauf. Unsere Tante Emma hießen Frau Mandel, Frau Hallen, Frau Köster. Und die abgebildete DALLI-Seife stammt original au dem 1965 geschlossenen Konsumwarenladen von Oma Tilde.

Tante Emma © ECHTES.rocks!

Tante Emma ist …

…. ein Geschäft, indem du alles zum Leben und Reinigen kaufen kannst. Du kannst nicht zwischen 10 Sorten wählen (Sortimentstiefe), findest dafür alles für den täglichen Bedarf (Sortimentsbreite), — außer Tiernahrung. Der klassische Tante-Emma-Laden hatte um die 50 Quadratmeter Verkaufsfläche (häufig auch kleiner) und bot neben einigen Selbstbedienungsregalen (die in den 1960er Jahren dazu kamen) vor allem einen großen Tresen mit wunderbaren Glasvitrinen, etwa so wie heute an der Käse- oder Fleischtheke oder beim Bäcker oder Fischgeschäft.

… der Mensch hinter dem Tresen

Hinter diesem Tresen wartete mindestens Tante Emma, häufig aber auch weitere Mitarbeiter und stellten dir den Einkauf zusammen. Man konnte fragen, wie man etwas verwendet oder was man wofür braucht. Viele Dinge gab es unverpackt. Sie wurden abgewogen und in Fettpapier oder unverpackt über den Tresen gereicht. Tante Emma hatte vieles an nicht allzu Verderblichem: Kaffee, Landkaffee, Zucker, Mehl, Maggi-Würfel, Nudeln, Toilettenpapier, Papiertaschentücher, Bonbons, Konserven, Tee, Wasser, Sprudel, Bier. Dazu gab es täglich frisches regionales und saisonales Obst und Gemüse. Für alles weitere wie Käse, Fleisch, Wurst, Fisch, Früchte usw. gab es ja Spezialgeschäfte. Ja, ein Mini-Auswahl hatte auch Tante Emma.

Von einem Tante Emma-Laden hat sich übrigens eine ganz normale Familie mit 2 Kindern und dem einen oder anderen Verwandten ernährt. Nicht nur das. Sie bildeten auch aus und hielten ihre Mitarbeiter, so diese es wollten.

Zum Einkauf nutzten wir Weidenkörbe oder Einkaufsnetze. Die Jute-statt-Plastik-Baumwolltaschen kamen erst Ende der 1970er Jahr auf, sehr parallel zu der Plastiktütenflut der Discounter und Supermärkte.

Plastiksch**ß … wer wollte das alles haben?

Damit kaufe ich auch heute noch ein und, ehrlich gesagt, ärgert es mich maßlos, von jungen Menschen mit dem Vorwurf der Verschwendungssucht belegt zu werden. Denn die Baby Boomer hatten all den Krams nicht. Wir hatten Holzbausteine, Lego und einen Mal-Block aus Altpapier. Manche hatten Matchbox-Autos und keines der Spielzeuge brauchte Strom, außer die Pfadfinder-Taschenlampe. Wir verlangten nie nach Plastiktüten, da wir ja stets Netz, Korb oder Baumwolltasche dabei haben. Wir fragten uns, was Sunkist– und Caprisonne mit diesen Einwegverpackungen will …

Mehrweg mit weniger Weg

Euroflasche © ECHTES.rocks!
Euro-Flasche der Marke BROHLER. Bildquelle: https://pbs.twimg.com/media/FYGeUBZWAAALWNy.jpg

Wir hatten gelernt, dass man Joghurt und Milchgläser zurück bringt und mit gefüllten tauscht und, dass Brot in Papier und nicht in Plastik eingeschlagen wird. Wasser war übrigens schon damals in der mittlerweile verschwundenen Normbrunnenglasflasche oder Brunneinheitsflasche abgefüllt, so wie jede Limonade, stilles oder kohlensäurehaltiges Wasser im Mehrwegpfandsystem (siehe Bild). Altglascontainer gab es nicht, weil fast alles im Mehrweg-Pfandsystem abgefüllt war. — So, das war mir gerade ein Bedürfnis, dies mal zu sagen oder zu schreiben. Übrigens sind wir auch nicht als »Backpacker« ein Jahr um die Welt jongliert und viele saßen vor ihrem 30.  oder gar 40. Lebensjahr nicht einmal in einem Flugzeug. Nein, wir jobbten neben der Schule und gingen übergangslos in die Ausbildung, ob an der Universität, der Fachhochschule oder im Betrieb.
Wir gingen zu Fuß zur Schule und auch in den Kindergarten. Nix mit Standheizung, Popowärmer und überall ein Tablett vor dem Kopf (boah, ich könnte mich echt reinsteigern….).

Zurück zur Tante Emma:

Wie viel Tante Emma braucht ein Stadtteil?

In diesem Stadtviertel einer Schlafstadt im Ruhrgebiet mit 210.000 Einwohnern leben rund 18 000 Menschen. Fußläufig bequem (bis zu 3 km Umkreis) leben ca. 6 000 Menschen. In den frühen 1970er gab es hier noch

2 Fleischer/Metzger
1 Milch- und Käseladen
2 Änderungsschneidereien
2 Apotheken
2 Gärtnereien
2 Steinmetze
2 Heißmangelbetriebe
3 Tante Emma-Läden mit Lieferservice für Wasserkästen etc.
1 Konditor mit Backstube
2 Bäcker mit Backstube
1 Schlüsseldienst und Schuhmacher
1 Bestatter
1 Sargbauer
2 Tischlereien
3 Malerbetriebe
3 Kfz-Werkstätten (an der Tankstelle)
1 Reifendienst
2 Schreibwarenläden
1 Polizeistation
3 Bankfilialen (verschiedene Institute)
2 Hebammen
1 Reisebüro
1 Fotograf/Fotostudio
8 Kioske/Trinkhallen
rund zwei Dutzend Kneipen und Restaurants
2 Boutiquen oder Oberbekleidungsgeschäfte
1 Handarbeits- und Bastelladen
6 Friseursalons
1 Bauschlosser
1 TV, Hifi- und Plattenladen mit Reparaturservice
2 Klempnerbetriebe
1 Glaser
4 Bauernhöfe mit Hofverkauf
1 Schuhladen
1 Hutladen (Hüte, Schals, Schirme etc.)
2 Geschenk- oder/und Porzellanläden
1 Elektroladen
1 Spielwarenladen
1 Polsterei
1 Saatgutladen
1 Handel für flüssige und feste Brennstoffe

An jedem der 4 Spielplätze gab es ausreichend Bänke, Regenschutz und teilweise öffentliche WCs. Dazu kamen noch 4 Sportplätze und ein Trimm-Pfad. Alles weg.

Sicher lassen sich noch mehr Betriebe aufzählen. Dies ist eine spontane Aufzählung der Betriebe, die mir gerade einfallen. Zu den meisten erinnere ich noch den Namen, der stets der Familienname des Inhabers war und kein Kürzel mit 3 Buchstaben.

Gewerbe-Einöde und Standardisierung

Wenn ich durch das Viertel spaziere, kann ich noch genau sagen, wo welcher Betrieb war … Alles weg. Der letzte Handwerksbäcker hat im Oktober 2023 aufgegeben und heute sah ich, dass auch eine Apotheke weggefallen ist. Lediglich eine Hebamme ist aus obenstehender Liste noch vertreten.
Bänke werden schon lange nicht mehr gewartet oder ersetzt und 2 der 4 Spielplätze sind eingeebnet worden. Auf einem Sportplatz stehen nun Schrumpfstadtvillen mit haufenweise E-Autos.

Dafür haben wir im gleichen Radius:
1 LIDL
2 Aldi
1 Netto
1 Rewe
1 Rossmann
1 dm
1 Fressnapf
1 Trinkgut
1 Kik
1 Lottoladen mit Schreibwaren, Rauchwaren und Blumensträußen

Wir haben früher im Viertel gearbeitet und auch dort den Großteil unseres Geldes ausgegeben. Was ist heute? Lieferservice und Paketstau. 🙄
Die Arbeitsplätze sind am anderen Ende der Welt, während man sich hierzulande auf Bullshit-Jobs um Gendergaga kümmert, unwissend, wie repariert wird, unwissend woher ECHTES Essen stammt und wie es zubereitet wird.

China lacht sich krumm.

Nachdenkliche Grüße.
Sylvia von ECHTES